Redispatch 2.0 – Mehr Strom für entspannte Netze

In Norddeutschland weht starker Wind. Trotzdem müssen im Süden Kraftwerke ans Netz gehen. Foto: wirestock / Freepik
In Norddeutschland weht starker Wind. Trotzdem müssen im Süden Kraftwerke ans Netz gehen. Foto: wirestock / Freepik

Windstärke 6 – ganz ohne Windmesser heißt das: auch größere Äste bewegen sich und der Regenschirm fängt an, lästig zu werden. Für die Windenergieanlagen an der Küste die optimalen Bedingungen, um viel Strom zu erzeugen. Im Süden ist die hohe Stromausbeute in Norddeutschland für die Netzbetreiber das Signal, konventionelle Kraftwerke hochzufahren. Das klingt zunächst unlogisch: Strom sollte doch nun im Überfluss vorhanden sein? Natürlich stimmt das, aber um die Logik des „Redispatch 2.0“ – so heißt das Verfahren – zu verstehen, muss man den Aufbau des Stromnetzes kennen.

von Charis Stank

Warum muss man Kraftwerke im Süden hochfahren, wenn an der Küste eine starke Brise weht? Weil das Stromnetz in Deutschland noch nicht in der Lage ist, große Mengen vom Norden in den Süden zu transportieren. Um den Energiebedarf zu decken, müssen Kraftwerke in den südlichen Regionen hochgefahren werden. Dazu stellt man sich am besten das Stromnetz wie eine klassische Waage mit zwei Waagschalen vor. Im Idealzustand ist die Balance zwischen den beiden Seiten genau austariert. Wird nun eine Seite stärker belastet, entsteht ein Ungleichgewicht, das einen Eingriff nötig macht.

Ein Fahrplan für ganz Deutschland

Die Balance entsteht im Stromnetz allerdings auch dadurch, dass die Menge des eingespeisten Stroms gleichzeitig der aktuellen Stromentnahme entspricht. Wird also durch das stürmische Wetter mehr Strom als normal produziert, entsteht ein Produktionsüberschuss, der über das Übertragungsnetz in Regionen abgeleitet werden muss, welche die Energie entnehmen. Dabei stoßen momentan die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) immer öfter an Kapazitätsgrenzen.

Das Stromnetz ist so, wie es aktuell ausgebaut ist, noch nicht an die Veränderungen der Energiewende angepasst. Statt konventioneller und in ihrem Einsatz planbarer Kraftwerke speisen viele einzelne – den natürlichen Unwägbarkeiten von Wind, Sonne und Wasserkraft ausgesetzten – Erzeuger ihren Strom ins Netz. Deren schwankendes Einspeiseverhalten erfordert deutlich stärkere Höchstpannungsleitungen von Nord nach Süd, um den Transport des Stroms zu gewährleisten. Aktuell würde ein einseitiger Abfluss von Energie die Leitungen überfordern – Netzengpässe und Stromausfälle wären die Folge.

Deshalb arbeiten die Übertragungsnetzbetreiber (z.B. Transnet BW in Baden-Württemberg, TenneT, Amprion und 50Hertz) in ganz Deutschland mit sorgfältig und im Voraus aufeinander abgestimmten Fahrplänen zusammen: Dazu gehört, dass schon am Vortag der Wetterbericht für die Nordseeküste auch in Süddeutschland sehr genau gelesen wird.

Das Ziel der planungsbasierten Redispatch-Maßnahmen: Mit den Erzeugungsleistungen von Kraftwerken in Süddeutschland werden einzelne Stromnetz-Abschnitte oder Transformatoren in Umspannwerken vor Überlastung geschützt. Im Gegenzug planen daher die Betreiber von Windenergieanlagen im Norden Maßnahmen, um die eigene Stromausbeute zu senken. Sie können zum Beispiel die Winkel der Rotorblätter verstellen, damit die Drehzahl ihrer Turbinen bei steigender Windstärke nicht zunimmt.

Der Übergang von einzelnen konventionellen Kraftwerken mit berechenbarer Leistung auf ein System, in das viele verschiedene Quellen ihre Erneuerbare Energie einspeisen, erschwert zwangsläufig die Planbarkeit. Waren es beim früher praktizierten Redispatch 1.0 nur Kraftwerke mit über 10 Megawatt Leistung, die in die Lastverteilung eingreifen mussten, stellt die Energiewende Verteilnetzbetreiber wie ED Netze vor neue Aufgaben.

Da inzwischen deutlich mehr Erzeuger mit ständig schwankender Erzeugungsleistung Strom ins Netz einspeisen, müssen beim Redispatch 2.0 bereits Anlagen über 100 Kilowatt zum Engpassmanagement im Stromnetz beitragen. Langfristig ist es daher wichtig, das Stromnetz über große Distanzen so auszubauen, dass das Zusammenspiel von Hoch-, Mittel- und Niederspannungsleitungen auch unter den veränderten Bedingungen der Stromerzeugung jeder Konstellation gewachsen ist. ED Netze investiert viel in den Netzausbau und arbeitet gleichzeitig an einem „intelligenten“ Stromnetz.

Mit den wachsenden digitalen Möglichkeiten sind Strukturen entstanden, die die Planbarkeit und Versorgungssicherheit verbessern: Bei ED Netze in Rheinfelden sagt die Smart-Meter-Technologie das Verbrauchsverhalten von Privathaushalten und Unternehmen voraus. Im Norden hingegen sorgt ein immer dichteres Netz meteorologischer Windmessungen für zuverlässige Prognosen der zu erwartenden Windstärke – viele Kilometer bevor der Wind auf die Rotorblätter trifft.

Über die Autorin: Charis Stank

Die Journalistin Charis Stank sammelte redaktionelle Erfahrungen beim Hamburger Magazin Stern und arbeitet als Texterin in der Tourismus-Branche. In ihrem Online-Magazin Schönste Zeit entführt sie ihre Leserinnen und Leser seit über zehn Jahren an die schönsten Orte der Alpen. Am ED-Netze-Blog reizt sie die Vielfalt der Themen und die Möglichkeit, sich mit Dingen zu beschäftigen, über die sie im normalen Alltag kaum nachdenkt.

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