Mangelware Strom? So sicher ist die Versorgung im Winter

Die deutsche Stromversorgung ist sicher und alle Beteiligten unternehmen größte Anstrengungen, damit dies auch so bleibt. Dennoch besteht ein Restrisiko, dass unvorhergesehene Ereignisse kontrollierte Lastabschaltungen erforderlich machen. In so einer kritischen Situation wäre die Verbundleitstelle von ED Netze gefragt. (Foto: ED Netze)
Die deutsche Stromversorgung ist sicher und alle Beteiligten unternehmen größte Anstrengungen, damit dies auch so bleibt. Dennoch besteht ein Restrisiko, dass unvorhergesehene Ereignisse kontrollierte Lastabschaltungen erforderlich machen. In so einer kritischen Situation wäre die Verbundleitstelle von ED Netze gefragt. (Foto: ED Netze)

Der Winter 2022/23 wird von Debatten zur Versorgungssicherheit begleitet. Reicht der Strom in Deutschland? Wie wahrscheinlich sind Stromabschaltungen? Und was genau würde im Fall einer extremen Mangellage passieren? Wir haben uns in der Verbundleitstelle von ED Netze nach Antworten umgehört.

von Patrick Torma

In Rheinfelden schaltet und waltet gewissermaßen das zentrale Nervensystem der ED Netze GmbH. In der Vebundleitstelle laufen Meldungen und Messwerte aus dem gesamten Versorgungsgebiet des Verteilnetzbetreibers zusammen. Michael Scheibel und sein Team wachen an 365 Tagen im Jahr, rund um die Uhr, über die Netzstabilität. Jede Störung im Betrieb ruft die „Warte“ auf den Plan – denn über das Leitsystem können die Schalttechniker das Netz fernsteuern. Beispielsweise kommt es vor, dass die Kollegen den Strom punktuell abschalten müssen, damit der Außendienst vor Ort erforderliche Wartungen oder Reparaturen vornehmen kann.

Inwiefern Stromabschaltungen im großen Stil erforderlich sein könnten, um die Versorgungssicherheit in Deutschland zu gewährleisten, darüber wurde in den vergangenen Herbst- und Winterwochen immer wieder berichtet, diskutiert und auch spekuliert. Fakt ist: Michael Scheibel und seine Mitarbeiter wären im Fall der Fälle gefragt. Deshalb haben wir uns mit dem Teamleiter Verbundleitstelle zum Interview getroffen, um mit ihm über die derzeitige Versorgungslage zu sprechen und darüber, welche Räder bei einem „kontrollierten Brownout“ ineinandergreifen würden.

Herr Scheibel, wie haben Sie den bisherigen Winter in der Verbundleitstelle erlebt?

Michael Scheibel: Glücklicherweise war die Lage entspannt. Sicher hat uns das milde Wetter in die Karten gespielt, die Gasspeicher waren gut gefüllt und sie werden es – laut Einschätzung der Bundesnetzagentur in diesem Winter – wohl auch noch bleiben. Ich bin daher optimistisch, dass wir vorerst über den Berg sind. Auch aus der Zusammenarbeit mit dem für Baden-Württemberg zuständigen Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW kann ich berichten, dass bislang alle Ampeln „auf Grün“ stehen.

Michael Scheibel, Teamleiter Verbundleitstelle ED Netze, liefert Antworten.
Michael Scheibel, Teamleiter Verbundleitstelle ED Netze, liefert Antworten. (Foto: ED Netze)

Dabei war und ist in den Medien immer wieder von den Gefahren eines Blackouts die Rede. Was genau verbirgt sich hinter diesem Begriff? Und wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir Deutschland von einem Blackout „erwischt“ werden?

Mit „Blackout“ wird ein kompletter, unvorhergesehener Stromausfall bzw. Stromnetzausfall bezeichnet, der eine große Anzahl von Menschen gleichzeitig betrifft.

Völlig abwegig ist so ein großflächiger Stromausfall nicht. Anfang der 2000er-Jahre kam es beispielsweise in Italien und in Griechenland zu Blackouts. Und wie extreme, unvorhergesehene Ereignisse die Stromversorgung hierzulande treffen können, haben wir beim Schneechaos im Münsterland 2005 gesehen.

Nun ist das deutsche Stromnetz robust, es gehört zu den zuverlässigsten Stromnetzen der Welt. Daher schätze ich die Wahrscheinlichkeit eines Blackouts in Deutschland insgesamt als gering ein. Gestiegen ist jedoch, laut Energieexperten, die Wahrscheinlichkeit, dass in diesem Winter kontrollierte Brownouts erforderlich werden könnten, um das Stromnetz zu stabilisieren.

Was ist denn ein kontrollierter Brownout?

Zunächst einmal: Ein „Brownout“ bezeichnet einen lokalen, temporären Stromausfall.

Ein Brownout kann kontrolliert, also bewusst und gezielt, vonseiten der Netzbetreiber herbeigeführt werden, um kritische Netzsituationen abzufedern. Das Mittel der Wahl wäre eine rollierende Lastabschaltung, gewissermaßen als Vorstufe eines „Blackouts“, den es zu verhindern gilt.

Im Klartext: Es ist denkbar, dass Netzbetreiber Teile ihres Stromnetzes aktiv herunterfahren, um Schlimmeres zu verhindern?

Bisher war das in Deutschland noch nicht erforderlich. Um Netzstabilität zu gewährleisten, müssen Stromerzeugung und -verbrauch im Gleichgewicht stehen. Stellen Sie sich das gerne bildlich als Waage vor. Kommt es zu einem Ungleichgewicht, dann steuert die Stromwirtschaft gegen, bevor es problematisch wird. Wird beispielsweise mehr Strom verbraucht als erzeugt, dann erhöhen Kraftwerke ihre Leistungen oder es wird Strom zugekauft, um drohende Engpässe zu schließen.

Jetzt sind im vergangenen Jahr einige Faktoren hinzugekommen, die es nicht leichter machen, die Waage in Balance zu halten. Da ist zum einen natürlich der Krieg in der Ukraine: Eine drohende Gasmangellage wirkt sich auf den Strommarkt aus, weil rund zehn Prozent des Stroms hierzulande noch mithilfe von Erdgas erzeugt werden. Zum anderen hat Frankreich im vergangenen Sommer die Erzeugungskapazitäten seiner Atomkraftwerke und damit seine Stromexporte gedrosselt. Noch immer ist ein Teil der französischen Kraftwerke aufgrund von Revisionsarbeiten und Reparaturen außer Betrieb. Diese haben aber keine Auswirkung auf die Netzstabilität in Deutschland. Der Strom wurde anderweitig beschafft – und zwar aus Dänemark.

Ganz grundsätzlich kommt in der Rechnung für diesen Winter hinzu, dass die Stromerzeugung aus regenerativen Energien je nach Wetterlage und Tageszeit schwankt. Naturgemäß wird in der dunklen Jahreszeit weniger Solarstrom erzeugt. Ist es dann noch windstill, schrumpft der Anteil der Erneuerbaren Energien am Strommix deutlich. Und noch sind wir nicht so weit, dass wir überschüssige, unter günstigen Bedingungen erzeugte Energie in vollem Umfang für „schlechte Zeiten“ speichern können.

Angenommen, es wäre so wenig „Saft“ im Stromnetz, dass Maßnahmen ergriffen werden müssten: Was passiert bei einer rollierenden Lastabschaltung?

In kritischen Netzsituationen können Netzbetreiber gemäß Energiewirtschaftsgesetz (laut § 13 Abs. 2, Anm. d. Red.) unterstützende, kaskadierende Maßnahmen bei nachgelagerten Netzbetreibern anfordern.

Ein hypothetisches Beispiel: Einer der großen Übertragungsnetzbetreiber stellt fest, es wird erheblich mehr Strom verbraucht als erzeugt. Diese Unterdeckung ist so gravierend, dass sie anderweitig nicht aufgefangen werden kann. In unserem Fall wäre es die Transnet BW GmbH, die sich melden würde. Bevor es zu einem Blackout käme, würden die Kolleginnen und Kollegen die Unterstützung der Verteilnetzbetreiber anfordern – und zwar in Form einer kontrollierten, rollierenden Abschaltung. Nach dem Motto: ‚Liebe ED Netze, um das Netz zu stabilisieren, müsst ihr bitte eine Last von 50 Megawatt abwerfen.‘

Was heißt in diesem Fall „rollierend“?

Die Abschaltungen gehen „reihum“. Wird unsere Unterstützung angefordert, haben wir in der Verbundleitstelle 12 Minuten Zeit, das Ganze umzusetzen. Spätestens dann werden die ersten Anschlüsse von der Versorgung getrennt. Dort bleibt es für 90 Minuten dunkel. Nach Ablauf dieser Zeit kehrt der Strom zurück und es werden die nächsten Anschlüsse vom Netz genommen. Solange, bis die Strommangellage behoben ist.

Wer entscheidet, wer vom Netz genommen wird? Gibt es eine Prioritätenliste?

Nein, anders als beim Gas gibt es bei der Stromversorgung keine geschützten Kunden, die zu priorisieren wären. Im Gegenteil: Rollierende Abschaltungen müssen diskriminierungsfrei vorgenommen werden. Das heißt, sämtliche Verbraucher – Haushalte, Industrie, aber auch Krankenhäuser und kritische Infrastruktur – befinden sich in einem Topf.

Verbraucher, die vom System „ausgelost“ werden, müssen 90 Minuten ohne Strom auskommen. Ist dieser Zeitraum gesetzlich vorgeschrieben?

Nein, der Zeitraum von 90 Minuten wurde im Arbeitskreis ‚Systemverantwortung in der Regelzone der TransnetBW‘ unter pragmatischen Gesichtspunkten für Baden-Württemberg festgelegt. In den Regionen anderer Übertragungsnetzbetreiber gelten zum Teil andere „Auszeiten“. Es wurde ein Wert gesucht, der vertretbar ist, etwa gegenüber Krankenhäusern, die für solche Situation mit Notstromaggregaten vorsorgen.

Sie betonten eingangs, eine rollierende Lastabschaltung sei in Deutschland bislang noch nicht erforderlich gewesen. Wie bereiten Sie sich auf solch eine Situation vor?

Wir können logischerweise nicht am echten Stromnetz üben. Hierfür gibt es regelmäßige Netzsimulatortrainings mit den Kolleginnen und Kollegen der Übertragungsnetzbetreiber. Daran nehmen wir als ED Netze teil, zusammen mit anderen Verteilnetzbetreibern, größeren Stadtwerken, Kraftwerksbetreibern und vielen weiteren Akteuren. In großer Runde werden diverse Szenarien, wie etwa Blackouts und Brownouts „durchgespielt“. Wobei sich das Training nicht wie eine Simulation anfühlt, sondern sehr real. Es fließen echte Lasten und Messwerte ein, teilweise in Echtzeit.

Ertüchtigen, ausbauen, neu denken

Pläne für den Ernstfall sind wichtig. Noch mehr Maßnahmen sind jedoch darauf ausgelegt, dass es gar nicht erst zu Engpässen in der Versorgung kommt. So ist das deutsche Stromnetz mit weitreichenden Sicherheitssystemen ausgestattet. Gerade die vergangenen Jahre haben allerdings gezeigt, dass sämtliche Risiken nicht auszuschließen sind. Daher hat ED Netze ein Business Continuity Management installiert, das kritische Knotenpunkte identifiziert und Prozesse etabliert, die das Verteilnetz resilienter gegen Störungen von außen machen.

Darüber hinaus treibt ED Netze kontinuierlich Innovationen voran, die den Netzbetrieb digitaler, smarter und effizienter gestalten, besonders mit Blick auf die Herausforderungen der Energiewende. Einiges gibt der Gesetzgeber vor. Ein aktuelles Thema ist etwa die Umsetzung des Redispatch 2.0.

Sollte ein kontrollierter Brownout bevorstehen: Wie würden Bürgerinnen und Bürger informiert?

Bei Notfällen ist es ja häufig so: Sie treten unvorhergesehen ein. Es kann natürlich sein, dass uns TransnetBW mitteilt: ‚Hört mal, in den nächsten zwei, drei Tagen wird es eng.‘ Dann bliebe natürlich Zeit, die Bevölkerung vorzubereiten. Knapp wird’s, wenn TransnetBW anruft und sagt: „Gleich müsst ihr Last abwerfen.‘

Wenn es darum geht, die Menschen in der Allgemeinheit zu erreichen, dann sind wir als Verteilnetzbetreiber „unbekannter“ als öffentliche Stellen, die im Krisenfall auf etablierte Kanäle zugreifen können. Demnach nimmt bei uns die Kommunikation mit Kommunen und Bürgermeistern einen Schwerpunkt ein.

Nichtsdestoweniger machen wir uns natürlich Gedanken, wie wir Bürgerinnen und Bürger direkt erreichen können. Aktuelle Informationen gibt es derzeit über unseren Live-Ticker „Versorgungsunterbrechungen“ auf der ED Netze-Homepage, auf unseren Social Media Kanälen Twitter und Facebook oder die telefonische Störungsannahme unter 07623 / 92-1818 sowie 0800 / 92-18180. Außerdem meldet ED Netze mögliche Störungen im Netz an die Website Störungsauskunft.de.

Was können Bürgerinnen und Bürger tun? Im Ernstfall? Aber vielleicht auch, um einen Beitrag zu leisten, das Netz im Gleichgewicht zu halten?

Für die Vorsorge für einen Stromausfall halten die Bundesnetzagentur und vor allem das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe  umfassende Hinweise parat.

Allgemein gilt: Jedes bisschen Energie, das in den Haushalten eingespart wird, schont nicht nur den Geldbeutel und die Umwelt. Sondern hilft auch, das Stromnetz zu entlasten. Wer sich für einen bewussteren Umgang mit Strom interessiert, kann sich ja mal „StromGedacht“ von TransnetBW anschauen. Die App informiert über den aktuellen Status des Stromnetzes und gibt Hinweise, wie man den eigenen Stromverbrauch in angespannteren Situationen anpassen kann.

Über den Autor: Patrick Torma

(Foto: CAMILLO WIZ PHOTOGRAPHY, Camillo Lemke)
(Foto: CAMILLO WIZ PHOTOGRAPHY, Camillo Lemke)

Als freier Journalist und Texter spürt Patrick Torma spannenden Geschichten nach – und bringt sie für Leser auf den Punkt. Zu seinen Auftraggebern zählen Medien und Redaktionsbüros, aber auch Unternehmen, die ihrer Zielgruppe einen Mehrwert bieten. Technische und historische Themen begeistern ihn besonders. Da trifft es sich gut, dass die (Strom-)Netzgeschichten im ED-Netze-Blog beides vereinen.

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*